Der
alte Rover hatte noch Charakter
Erlebnisse
mit einem Wagen, der nur Qualität bieten wollte
Die
Bindung an ein Auto ist heute im allgemeinen eine sehr kühle, nüchterne
Angelegenheit, man kauft den Typ, der einem für die eigenen Bedürfnisse und
den eigenen Geldbeutel am günstigsten erscheint. Die heutigen Autos, selbst die
großen und teuren, erwecken auch kaum noch die persönlichen Gefühle, mit
denen früher viele stolze Besitzer ihre Vehikel liebevoll bedachten. Das hat
sicher damit zu tun, dass die heutigen Autos aller Klassen für das, was sie
sein sollen, perfekt oder nahezu perfekt sind. Man muss sich höchstens über
sie ärgern, wenn sie mal den Dienst einstellen oder wenn die Wartung horrendes
Geld kostet. Solange sie laufen, sind sie ein fast unauffälliger Begleiter
durch den Alltag.
Der
Mann, der sein Auto lieben möchte, hat es heute schwerer beim unpersönlichen
Charakter auch exklusiver Produkte. Früher gab es dagegen Typen, die hatten
„Charakter“, sie waren gewissermaßen Autopersönlichkeiten. Wie alles mit
Charakter, schloss das Fehler und Schwächen mit ein, die bei einem früheren
Stand der Technologie immer ein bisschen ein Kompromiss zwischen Stärken und
Schwächen waren: ein hervorragend gefedertes Auto beispielsweise hatte meist
keine gute Straßenlage und umgekehrt. Eine solche Autopersönlichkeit war
zweifellos der alte Rover 3500, schon im Erscheinungsbild seiner Zeit originell
ausgefallen.
Er
ging aus dem Zweiliter-Vierzylinder Rover 2000 hervor, der Anfang der sechziger
Jahre herauskam und das erste Auto war, das eine internationale Auszeichnung für
seine Sicherheitseigenschaften erhielt. Er war ein relativ kleiner kompakter
Mittelklassewagen mit so ausgezeichneten Fahreigenschaften, dass man ihn später
mit einem voluminösen 3,5 Liter V8 gegen Aufpreis anbot - eben der 3500. Einige
Qualitäten, die dieser Wagen hatte, sind auch heute nicht überboten. Da war
zunächst einmal dieser Motor, eine 140 PS starke Leichtmetallmaschine, die
leichter war als der Vierzylinder aus dem gleichen Haus. Man hatte ihn sich von
Buick geholt, wo er nicht zur Serienreife gebracht wurde - die Amerikaner kamen
mit den thermischen Problemen des Leichtmetalls nicht zurande. Die
Rover-Ingenieure machten daraus eine der besten Maschinen, die je gebaut wurden,
sie läuft heute noch im Range Rover, im neuen 3500, einige tausend MGs wurden
damit bestückt, und noch andere Modelle zehren davon - bis hin zum Urvieh aller
Roadster, dem Morgan.
Über 200.000 km mit einem Motor
Laufleistungen
von über 200.000 km sind bei diesem Motor eher die Regel, selbst im Range
Rover, wo er sich wirklich anstrengen muss. Mit dem alten Rover 3500 dagegen
hatte er leichtes Spiel, er arbeitete eigentlich nie an der Grenze seiner
Leistungsfähigkeit, und da er immer genügend Drehmoment hatte, konnte man ihn
der serienmäßigen Borg-Warner-Automatik überlassen, einem etwas trägen, aber
unmerklich sanft schaltenden Getriebe. Wollte man es der Umwelt mal zeigen, dann
konnte man mit dem Wählhebel die Gänge fixieren, und dann staunte so mancher,
was dieses betont unauffällige Auto an Beschleunigung hinlegte. Ich werde nie
vergessen, wie einen Golf GTI-Fahrer fast der Schlag an der Ampel traf: er zog
heulend neben uns her, bis er schalten musste. Da hatte der Rover im fixierten
ersten Gang 3000 Umdrehungen und damit sein bestes Drehmoment erreicht und zog
nun unterbrechungslos und leise summend davon, bis er bei knapp 100 selbst in
den zweiten musste - da war aber die Konkurrenz beleidigt abgeblieben.
Der alte war nicht der leiseste
Solchen
Versuchungen konnte man manchmal nicht widerstehen, aber insgesamt lud der 190
km/h schnelle Wagen eher zum vergnüglichen schnellen Reisen ein. Es gibt heute
leisere Wagen, aber der sonore Ton, den man innen und außen vernehmen konnte,
war eine nie aufdringliche Begleitmusik - die Familie vermisst heute sehr, dass
man Vatern nicht mehr hört, wenn er um die Ecke biegt. Der Motor ist im neuen
3500 noch leiser und war mit seiner vollkommenen Freiheit von Vibrationen den
meisten Konkurrenten der Luxusklasse an Kultur stets überlegen. Nach sechs
Jahren Ausland kam unser gutes Stück reibungslos durch den TÜV. Er bot, bevor
die Familie traurig Abschied nahm - er verkaufte sich übrigens wie eine warme
Semmel, man wittert wohl einen künftigen Klassiker - sieben Jahre
„troublefree motoring“, außer Verschleißreparaturen gab es keine Anstände.
Auch bei schnellen Autobahnfahrten kam man nicht über 13 Liter Benzin auf 100
km, in der Stadt waren es dank einer stets niedrige Drehzahlen erlaubenden
Automatik kaum mehr.
DDR-Autobahnen werden zum Teppich
Zwei
Dinge trugen zum Wohlbefinden bei: die einmalig gelungenen Sitze, die einen so
umhüllten, dass man den etwas knappen Beinraum kaum spürte: man saß aufrecht
in den festgeformten Sitzen - sie waren natürlich serienmäßig aus Leder. Der
Federung können auch heute die feinen Autos aus München und Stuttgart nicht
das Wasser reichen, es war die wohl aufwendigste der jüngeren
Automobilgeschichte: vorne Schraubenfedern, die sich waagerecht gegen den Wagenkörper
abstützten und damit den Platz freiließen für den großen Motor. Hinten eine
De-Dion-Achse, die die Vorteile der Starrachse, nämlich hervorragende Seitenführung,
mit denen der Pendelachse, nämlich feines Ansprechen, verband, ohne deren
Nachteile, nämlich Spur- und Sturzveränderungen beim Ein- und Auspendeln. Eine
teure Sache, aber man fuhr mit Genuss über grobe Autobahn-Querfugen, die man
nur hörte, spürte schlechte Straßenabschnitte oft erst dann, wenn man zufällig
mit einem weniger gut gefederten Auto darüberfuhr.. DDR-Autobahnen wurden zum
Teppich, man sah nur an den armen hartgefederten östlichen Produkten und ihren
herumgeschüttelten Insassen, über welch unkultivierten Untergrund man sich
bewegte.
Der Kofferraum war zu klein
Natürlich
war die hintere Scheibenbremse nach innen ans Differential gelegt, um die
ungefederten Massen zu verringern und das feine Ansprechen noch zu erhöhen. Auf
geneigten Straßen zog die De-Dion-Achse etwas nach außen, man musste mit der
in der Mittellage leicht teigigen Lenkung dagegenhalten. Mit der richtigen
Bereifung war aber sonst der Geradeauslauf tadellos. Servolenkung war das
einzige aufpreispflichtige Extra von Belang, aber man brauchte sie nicht
unbedingt. Beim Reisen mit der Familie wurde es etwas problematisch, der
Kofferraum war zu klein geraten: die komplizierte Hinterachse und der hinter die
Sitze hochgelegte Tank kosteten viel Platz, das Reserverad stand sperrig im
Kofferraum. Die Rover-Leute fanden eine echt englische Lösung: gegen etwa 80
Mark Aufpreis bekam man eine Vorrichtung, mit der man das fünfte Rad hinten auf
den Kofferraumdeckel montieren konnte - diebstahlsicher. Die Arbeit war in
weniger als fünf Minuten erledigt. Ein Freund fragte einmal, ob dann aber wohl
Gang- und Handbremshebel schon nach drinnen verlegt worden seien... Jedenfalls
ging so eine Menge Familiengepäck hinein.
Türen fielen sanft ins Schloss
Der
Typ 2000 war das erste auf Sicherheit bedachte Auto gewesen. Ein starrer Stahlkäfig
schützte die Insassen, vorn und hinten war alles auf Knautschzone ausgelegt.
Motorhaube und Kofferraumdeckel waren aus Aluminium - der höheren
Sicherheit wegen, normales Blech faltet sich nicht so einwandfrei. Das sparte
viel Rostschäden und Gewicht. Alles andere war auf den starren Teil des Chassis
aufgeschraubt. Das erleichterte Reparaturen. Die Türen fielen so sanft zu, wie
es auch bei einem Rolls Royce oder Jaguar nie der Fall war. Wer den Wagen nicht
kannte, schlug oft die Tür mehrmals zu, weil er nicht glauben konnte, dass die
Tür vom Wind zugeweht werden konnte.
Die
Inneneinrichtung war vornehm englisch: Leder, feine Teppiche, sportlich übersichtliche
Armaturen, grün beleuchtet, mit bruchsicherer Holzfolie darum herum, natürlich
mit Amperemeter und Öldruckmesser, dazu dezent getönte Scheiben - wie gesagt,
alles im Grundpreis von zuletzt knapp 19 000 Mark inbegriffen. Wahlweise konnte
man eine S-Ausführung mit Vierganggetriebe haben, damit ließen sich noch
rasantere Werte erreichen, was aber nicht unbedingt zu diesem Wagen passte.
Dennoch: wer sportlich fahren wollte, musste schon sehr schnell um die Kurven
preschen, ehe der etwas behäbig wirkende Wagen auf allen vieren sanft ins
Driften kam - absolut neutral. Nur bei Nässe kam er schließlich hinten herum,
und dann hieß es kurbeln. Mir platzte einmal auf der Autobahn bei 170 km/h der
Hinterreifen - entgegen landläufiger Auffassung gefährlicher als ein
geplatzter Vorderreifen -, wie an der Schnur gezogen konnte ich ihn
auslaufen und auf den Seitenstreifen rollen lassen. In Italien fragte mich
einmal ein Tankstellenwart vor der Abreise vom Urlaubsort, ob er das Öl prüfen
sollte. Ich erklärte ihm, dass ich das nie täte, weil zwischen Ölwechseln von
5000 km (erlaubt waren 8000) noch nie ein Tropfen gefehlt habe. Der Mann schaute
nach, staunte und geriet über die „bella machina“ so in Verzückung, dass
er mir spontan eine Flasche destillierten Wassers schenkte.
Absolutes „Understatement“
Das Schönste an diesem Wagen aber
war für viele das absolute „understatement“, selbst für englische Verhältnisse
schon fast unverschämt. Unter britischen Kennern galt er vornehmer als ein
„Rolls“ oder ein „Jag“, weil er es eben nicht nötig hatte, außer mit seinen
inneren Werten zu glänzen - und da war er sicher eines der qualitativ besten
Autos, die je gebaut wurden.
ZURÜCK
|